Was ist Archäologie des Mittelalters ?

Kurz gesagt beschäftigen wir uns mit den gegenständlichen Quellen des europäischen Mittelalters.
Als gegenständliche Quelle bezeichnet man alles, was eine Gesellschaft zurückläßt - von der Kathedrale bis zur Fäkaliengrube. Aus diesen vielfältigen Sachüberresten versuchen wir, Informationen über das Leben des mittelalterlichen Menschen zu gewinnen. Da das Produzieren von Müll im Gegensatz zur Schriftlichkeit nicht bestimmten Schichten vorbehalten ist, kann die Archäologie des Mittelalters Aussagen über Bereiche des Lebens machen, die durch schriftliche Zeugnisse nur bedingt erhellt werden.

Das europäische Mittelalter räumlich und zeitlich einzugrenzen, fällt schwer, da es sich um willkürliche Abgrenzungen handelt, die forschungsgeschichtlich bedingt und nicht historisch begründet sind. Da eine solche Eingrenzung arbeitstechnisch dennoch sinnvoll ist, beginnt in Tübingen das europäische Mittelalter mit dem Ende des römischen Reiches und endet mit der Renaissance (die Zeit davor dient der klassischen Archäologie und der Ur- und Frühgeschichte als Arbeitsfeld, die Zeit danach ist Arbeitsgebiet der Archäologie der Neuzeit, die wie die provinzialrömische Archäologie in Tübingen leider nicht vertreten ist.).

Mit der Zeit des Mittelalters beschäftigen sich viele Disziplinen, wie Geschichte, Kunstgeschichte, Volkskunde, Siedlungsgeographie und historische Haus- und Bauforschung. Bei dieser Vielzahl von Fachbereichen, die sich mit einer Zeit befassen, ist eine Abgrenzung zu Nachbarwissenschaften nötig (siehe auch G.P. Fehring, Einführung in die Archäologie des Mittelalters. Darmstadt2 1992.). Das wichtigste Kriterium dafür scheint die Arbeitsweise zu sein. Vorzugsweise arbeiten Mittelalterarchäologen mit der ihrem Forschungsgegenstand angemessenen Methode. Deshalb fällt die Abgrenzung zu den Nachbarwissenschaften so schwer, da zwar hauptsächlich archäologisch gearbeitet wird, also bei Ausgrabungen Funde und Befunde ermittelt werden, die Rückschlüsse auf die kulturgeschichtlichen Fragestellungen zulassen, aber ein Haus nicht oberhalb des Fundaments endet und Schriftquellen wichtige Informationen zur Interpretation eines Befundes beitragen können. Dazu kommt, daß die Ur- und Frühgeschichte, welche die methodischen Grundlagen für die archäologische Methode entwickelt hat und immer noch entwickelt, schon seit langem auf die Zusammenarbeit mit Naturwissenschaften angewiesen ist. Als bekannte Beispiele seien hier nur die Datierung anhand von radioaktivem Kohlenstoff (14C - Datierung) und die Dendrochronologie genannt. So gesehen ist der wichtigste Unterschied zu anderen Fachdisziplinen der fachübergreifende Ansatz auf der Basis der eigenen Methode.

Natürlich kann der Mittelalterarchäologe nicht im Alleingang alle Methoden anwenden, deshalb bemüht sich Frau Scholkmann in Tübingen um eine intensive Zusammenarbeit mit den Nachbarwissenschaften. Vor allem in der Verbindung zur Landesgeschichte haben diese Bemühungen Früchte getragen, was sich im Lehrangebot widerspiegelt.
Ein Tübinger Mittelalterarchäologe absolviert ein Grundstudium der Ur- und Frühgeschichte und spezialisiert sich im Hauptstudium auf Mittelalterarchäologie. Dies garantiert eine umfassende archäologische Ausbildung und ermöglicht den "Blick über den Tellerrand", da am Anfang des Studiums ein Überblick über die Geschichte der schriftlosen Kulturen vermittelt wird. Die Archäologie des Mittelalters ist organisatorisch vom Lehrangebot stark an die Ur- und Frühgeschichte gebunden, was nicht selbstverständlich ist (siehe Lehrstühle in Deutschland). Diskutiert wird auch die Beiordnung zur Landesgeschichte (z.B. D. Lutz, Mittelalterliche Burgen. In: D. Planck [Hrsg.], Archäologie in Württemberg. Stuttgart 1988.), was in Tübingen aber abgelehnt wurde.

Wer Archäologie des Mittelalters studieren möchte, sollte zumindest eins der folgenden Nebenfächer wählen: mittelalterliche Geschichte, geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften oder Kunstgeschichte.
So viel als kurze Einführung - wer Interesse bekommen hat, der kann sich hier ja mal umschauen, Fragen, Kommentare, Beiträge bitte an folgende Adresse...

Sascha.Schmidt@Student.Uni-Tuebingen.de (sascha.schmidt@student.uni-tuebingen.de)



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Ohne Gewähr! - Stand 9.7.96